Bauers Depeschen


Mittwoch, 03. Oktober 2012, 988. Depesche



TAGEBUCHEINTRAG

Man kann's den Kerlen übel nehmen, die das Übel wählen.

Ob klein, ob groß, ist Jack' wie Hos'.



FLANEURSALON & BUCH-PREMIERE

mit Vincent Klink

Toba Borke & Pheel

Los Santos, Dacia Bridges, Roland Baisch

Am Sonntag, 18. November (19.30 Uhr), stelle ich im Stuttgarter Theaterhaus meine neue Textsammlung vor: "Im Kessel brummt der Bürger King - Spazieren und über Zäune gehen in Stuttgart". 55 Glossen und Geschichten, mehr als 190 Seiten, mit einem Nachwort von Wiglaf Droste. Das Buch erscheint in der EDITION TIAMAT BERLIN und ist bereits in den Handel ausgeliefert. Zur Premiere gibt es einen Flaneursalon mit dem lesenden und Basstrompete spielenden Meisterkoch Vincent Klink (begleitet von Patrick Bebelaar am Klavier), mit dem Trio Los Santos (Stefan Hiss), dem Rapper Toba Borke und seinem Beatboxer Pheel, der Sängerin Dacia Bridges - und Roland Baisch als Conférencier. Karten über die Telefonnummer 07 11/40 20 720 und im Internet: THEATERHAUS



KOMMENTARE SCHREIBEN IM LESERSALON



SOUNDTRACK DES TAGES



Eine kleine Feiertagsgeschichte: 



HERR X

Nicht immer, wenn ich in der Stadt herumgehe, erwische ich die Straße des Siegers, und dann fällt mir die Geschichte von Herrn X wieder ein.

Ich hatte immer geglaubt, Herrn X gut zu kennen, auch wenn ich mich gelegentlich in ihm getäuscht hatte. Lange hielt ich ihn für einen Ehrenmann, einen würdigen Zeitgenossen, der seinem Alter entsprechend im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war.

Dann kam diese Tag, an dem mir Herr X erzählte, wie er die Straßen von Stuttgart entlang ging und vor sich hin fluchte, weil immer noch die alten verblichenen Fahnen an den Häusern hingen, obwohl das nächste Fußballturnier schon in zwei Jahren beginnen würde. Inzwischen waren ein Dauerregen und die Depression über die Stadt gekommen. Das war es aber nicht, was Herrn X beschäftigte.

Am Morgen hatte Herr X nach einem Schwächeanfall seinen Arzt aufgesucht und deshalb sein Taschentelefon ausgeschaltet. Als er es wieder einschalten wollte, um Kontakt mit der Welt aufzunehmen, fühlte er sich gut. Er konnte sich an die Ziffern 2, 5, 8 und 6 seiner Pin erinnern. Weil Vergesslichkeit kein Thema war und Herrn X damals die Welt gehörte, tippte er siegessicher die Pin-Zahl ein. Er machte es drei Mal hintereinander, und er hatte drei Mal keinen Erfolg. Das Telefon war hinüber.

"So weit musste es ja kommen", sagte mir Herr X, "daran ist der Verfall dieses verdammten Landes schuld. Die Bauern züchten Bio-Kühe, aber eine Bäuerin finden sie nur noch bei RTL."

Ich sagte nichts. Die Geschichte des Herrn X ging weiter. Nachdem sein Taschentelefon erledigt war, fiel ihm ein, dass er kein Geld bei sich hatte. Herr X ging in die nächste Landesbank und tippte seine Geheimzahl in den Geldautomaten. Herr X war sich sicher, seine Geheimzahl bestand aus den Ziffern 6, 3, 0 und 2. Die Zahlen stimmten. Über die Reihenfolge ließe sich diskutieren. Während Herr X erneut tippte, begann er zu schwitzen. Nach dem Ausfall seines Mobiltelefons, das wusste er, würde er einen weiteren Tiefschlag an diesem Tag nicht verkraften. Er tippte eine zweite Zahlenfolge ein und eine dritte. Der Automat streikte.

Jetzt schwitzte Her X so sehr, dass er sich die Stirn wischte und seine Hose auszog. "Verstehst du", sagte mir Herr X, "an diesen Ausfällen ist der kulturelle Verfall der Gesellschaft schuld. Es gibt keine Werte mehr. Die Banken sind kriminell.“

Ich sagte nichts. Nachdem Herr X ohne Verbindung zur Welt und ohne Bargeld zu Fuß nach Hause kam, weil der Busfahrer einen Mann in Unterhosen nicht hatte einsteigen lassen, beschloss er, seinen Zustand mit einem richtigen Dauerlauf an der frischen Luft zu verbessern. Als Herr X acht Minuten und fünfunddreißig Sekunden gelaufen war, überfiel ihn ein Wolkenbruch. Herr X flüchtete unter ein Baugerüst. Nach zwei Minuten platzte über ihm ein Zementsack. Herr X wäre um ein Haar erstickt. "Ich habe es gewusst", sagte Herr X, "diese Stadt baut nur noch Scheiße. Sogar die Züge springen aus den Gleisen."

Ich sagte nichts. Die Geschichte des Herrn X nahm ihren Lauf. Nachdem er frisch betoniert seine Wohnung erreicht hatte, ließ er Wasser in seine Wanne laufen. Er badete ausgiebig mit Heublumenöl, wusch sich die Haare und drehte die Dusche auf. In diesem Moment flog ihm der Duschkopf um die Ohren. Nachdem er fast ertrunken wäre, stellte Herr X fest, dass der Duschkopf aus dem Kaffeeladen direkt am Schlauch abgebrochen war. "So weit musste es ja kommen", sagte Herr X, "daran sind die deutschen Kapitalisten schuld. Sie lassen unsere Duschschläuche von Kinderprostituierten in Thailand nähen."

Als Herr X sich später ein Spiegelei mit Speck und Tomate briet, roch es merkwürdig. Er schaute in die Pfanne und stellte fest, dass er nicht Öl, sondern Balsamico in die Pfanne geleert hatte. "Schuld daran", sagte Herr X, "ist die Austauschbarkeit der globalen Supermarktware. Überall verschiedene Etiketten drauf, aber überall der gleiche Mist drin. Selbst die Brezeln in der Stadt sind aus Pappe."

Als ich mir diese Geschichten angehört hatte, ging ich in mich. Es war ein weiter Weg, und ich begann Herrn X zu glauben. Ich rief bei meinem Arzt an. Die Frau des Arztes war am Telefon. "Der Doktor kann Sie nicht mehr behandeln", sagte sie. "Ein geisteskranker Patient hat ihn heute Morgen umgebracht." Etwas musste schief gelaufen sein in meinem Leben.

Wer war Herr X?

FRIENDLY FIRE:

NACHDENKSEITEN

FlUEGEL TV

RAILOMOTIVE

EDITION TIAMAT BERLIN

Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche

VINCENT KLINK

KESSEL.TV

GLANZ & ELEND





 

Auswahl

27.08.2022

24.08.2022

22.08.2022
17.08.2022

14.08.2022

10.08.2022
07.08.2022

06.08.2022


Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·