Bauers Depeschen


Samstag, 08. März 2008, 124. Depesche



Die Stadt Stuttgart hat in ihrer üblichen provinziellen Großkotzigkeit einer Berliner Werbeagentur den Slogan "Das neue Herz Europas" als Warnsignal für ihr Grubenunglück Stuttgart 21 abgekauft. Damit befasst sich meine heutige Kolumne in den Stuttgarter Nachrichten. Da ich weiß, dass viele am Wochenende keine Zeitung lesen, stelle ich die Glosse zur Konservierung ins Netz:



AM ARSCH DER WELT



Neulich als die Farb-Beutelschneider der Blue Man Group im Möhringer Apollo Theater Premiere feierten, sagte der Oberbürgermeister von Stuttgart: "Mich hat vor allem der Gag, auf Abflussrohren zu trommeln, begeistert." Die Idee, Abfallprodukte zur Kunst zu erheben, ist zwar nicht neu und auch kein Gag. Die Begeisterung des OB aber sagt uns etwas über seine Stadt: Die Abflussrohrtrommler bestimmen das kulturelle Niveau, frei nach dem Werbe-Hit: "Abflussfrei, das macht den Abfluss frei."

Man sollte diese Songzeile zur Stuttgart-Hymne erheben, dann könnte man sich viele Millionen für Imagekampagnen sparen. Der Umgang mit Abfall - die Zeichenlehrer wissen es - hat vor hundert Jahren mit den Objects trouvés und Readymades in unseren Museen Bedeutung erhalten. Heute steigt dagegen der Wert des geistigen Mülls ins Unermessliche. Große Verdienste auf diesem Feld erwerben sich die von der Stadt bezahlten Abflussrohrtrommler der Werbebranche.

Jetzt wurde ein Slogan für das Milliardenprojekt Stuttgart 21 vorgestellt, das bisher schärfste Sprachbild seit den Kurven der Monroe und dem Nabel der Welt: "Das neue Herz Europas".

Darauf muss man erst mal kommen. Selbstverständlich ist es wieder die vom Rathaus und der Landesregierung abonnierte Berliner Agentur Scholz & Friends, die kurz vor dem PR-Infarkt von Stuttgart 21 die Herzklappe aufreißt. Eigentlich ging es darum, einen anderen Namen für das geplante Grubenunglück am Bahnhof zu finden. Ersatzweise hat man nun einen Spruch, und der ist so neu, dass man sich hier fühlen muss wie nach acht frisch gelegten Bypässen, in Fachkreisen auch Bye-bye-Pässe genannt.

Gibt man bei Google "Das neue Herz Europas" ein, finden sich 637 000 Ergebnisse; ohne den Artikel neu sind es 843 000. Die meisten Einträge kommen ohne das Adjektiv das aus, denn neue Herzen werden bei der Obduktion von Werbeleichen so selten gefunden wie frische Hirne. Für das Herz Europas halten sich unzählige Orte in Frankreich und Liechtenstein, in Österreich oder Belgien. Paris, Wien, Brüssel fühlen das Herz Europas schlagen. Brandneu ist im Fall Stuttgart 21 jedoch, dass die neue Pumpe des alten Europas in einem Bauloch pumpt.

Die "Mitte Europas" wiederum liegt, je nach Weltsicht, mal in Polen, in der Ukraine oder in Bayern. Aber das Herz sitzt überhaupt nicht in der Mitte: In der anatomischen Mitte des Werbetexters befindet sich das Abflussrohr - auf dem er zum Gag auch trommelt. Prompt erscheint ein rotes Euro-Herz zum Anstecken, billiger als auf dem Rummel. In seiner ganzen Komplexität heißt der neue Stuttgart-21-Slogan "Das neue Herz Europas - Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm".

Mal abgesehen davon, dass die Das-Das-Zeilen unschlagbar hölzern klingen, wird der europäische Anspruch definitiv mit der Erwähnung der Stadt Ulm im Untertitel erzielt: Stuttgart-Ulm!

Sind die eigentlich noch ganz dicht?

Den Herzbeuteln der PR-Branche geht es mit ihrer Floskel wohl darum, nicht die Abflussrohre, sondern nur noch den Abschaum zu recyceln. Deshalb böte sich ein anderer Spruch aus dem Sprachschatz des Volkes an. Die internationale Standortfrage nach Stuttgart 21 ließe sich so griffiger und populistischer beantworten: Auf zwei Millionen und siebenhundertsiebzigtausend Google-Einträge bringt es der wahre Slogan, der von Herzen kommt: "Am Arsch der Welt".

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